Herzlich willkommen in der Welt der Diakonie!

Als Diakonie in Niedersachsen setzen wir uns für ein gelingendes Zusammenleben ein und übernehmen Verantwortung füreinander.

Dabei werden wir von den rund 89.000 Mitarbeitenden in den 3.000 diakonischen Einrichtungen unterstützt.

Ein Mitarbeiter davon ist Ralf Buddenbohm-Hempelmann, stellvertretender Leiter der Tagesbildungsstätte des Autismuszentrums in Hannover.

Im Autismuszentrum werden Kinder und Jugendliche gefördert. So auch Jan, dessen Geschichte Ihr hier lesen könnt.

„Ich arbeite bei der Diakonie, um mich für die Belange der mir anvertrauten Kinder und Jugendlichen einzusetzen.“

Ralf Buddenbohm, Autismus-Zentrum Hannover

Einmal im Kopf des Sohnes sein

Das Autismus-Zentrum Hannover fördert Kinder und entlastet Familien

Unruhig wackelt Jan auf seinem Stuhl hin und her, reibt sich die Finger durchs Gesicht. Der Neunjährige sitzt mit fünf weiteren Kindern im Morgenkreis – und der dauert ihm offenbar zu lange. „Uuuuuh“, macht er, legt seinen Kopf auf dem Tisch ab, hält sich die Ohren zu.

Jan ist Autist. Er besucht keine Regelschule, sondern das Autismus-Zentrum Hannover. Fünf Mitarbeiterinnen der Einrichtung sitzen mit den Kindern am Tisch. Wenn die Erwachsenen ein Lied singen, verdeutlichen sie den Text mit Gesten. Die Kinder singen nicht mit. Sie alle haben frühkindlichen Autismus und sind sprachlich so stark eingeschränkt, dass sie zum Mitsingen nicht in der Lage sind. „Manche sind emotional im Säuglingsalter, kognitiv bei drei bis sechs Jahren“, sagt Sonderpädagogin Lara Smith. 

Dass Jan anders ist als andere Kinder, merkte seine Mutter schon, als er noch ein Baby war. „Erst dachte ich, er ist einfach ein Schreikind“, sagt Claudia Dehne (44). Doch dann merkte sie, dass Jan keine Nähe mochte. „Während sich andere Babys beruhigen, wenn man sie auf den Arm nimmt, schlug Jan in solchen Momenten auf mich ein“, erinnert sie sich, „ich redete mir ein, das verwächst sich noch“. 

Als sie zum ersten Mal hörte, es könne sich um Autismus handeln, fing sie an, über das Thema zu lesen, Videos anzusehen. „Je mehr ich erfuhr, desto mehr brach für mich unsere Welt zusammen“, sagt Claudia Dehne. „Ich kannte das ja nicht, wusste nicht, was auf uns zukommt.“ Als Jan dreieinhalb Jahre alt war, stand die Diagnose nach mehreren Untersuchungen fest.

„Als wir in der Kindergartengruppe des Autismus-Zentrums einen Platz bekamen, war das wie ein Sechser im Lotto“, sagt Claudia Dehne. In der Integrationsgruppe seines vorherigen Kindergartens war er nicht zurechtgekommen. Im Autismus-Zentrum aber wurde er verstanden. „Endlich fühlte auch ich mich verstanden“, sagt seine Mutter. „Und endlich bekomme auch ich die Entlastung, die ich brauche.“ 

Schöne Zeit zu viert als Familie? Claudia Dehne schüttelt entschieden den Kopf. „So etwas haben wir nicht. Als Außenstehender kann man sich unser Leben kaum vorstellen.“ Jeder Reiz aus der Umgebung kann zu viel sein für Autisten. Sie können Reize nicht ausblenden. Einmal, erzählt die Mutter, wollten sie alle zusammen in den Urlaub fahren. Doch sie mussten ihn abbrechen. „Jan drehte komplett durch. Die fremde Umgebung des Ferienhauses, das war zu viel für ihn. Er setzte sich nicht mal auf den Stuhl.“ 

Seitdem fährt ihr Mann mit dem älteren Sohn alleine in den Urlaub. Die Mutter kümmert sich um Jan. Zuhause, wo er alles kennt. Einmal im Monat übernachtet Jan für eine Woche in der WohnZeit des Autismus-Zentrums. Dann hat Claudia Dehne Zeit für ihren älteren Sohn. Zeit für sich? Fehlanzeige. „Aber die Zeiten, in denen wir Jan mal abgeben können, die helfen uns sehr“, sagt sie. Ohne würden sie es kaum schaffen. „Ständig stehe ich unter Strom, ich kann ihn nie aus den Augen lassen.“ 

Als sie ihn das erste Mal in die WohnZeit gegeben hat, hatte sie ein schlechtes Gewissen. In der WohnZeit können Kinder auch nachmittags betreut werden und übernachten „Ich hatte das Gefühl, ich würde ihn abschieben.“ Aber dann habe sie gemerkt, wie gut auch ihm diese Zeit tut. Die Förderung und Entspanntheit, die er erfährt. Manchmal, sagt seine Mutter, würde sie gerne für einen Tag im Kopf ihres Sohnes leben und erfahren, wie er die Welt wahrnimmt, die für ihn so anders ist als für sie.

Sonderpädagogin Lara Smith kann das verstehen. Sie freut sich über die Fortschritte, die sie bei Jan beobachtet. 25 Minuten am Tisch sitzen bleiben – das wäre vor einem halben Jahr noch nicht möglich gewesen. Heute schafft er es. 

„Komm lernen“, sagt sie zu Jan und will ihn zum Einzelunterricht in den Lernraum mitnehmen. Längere Sätze würden überfordern. Doch Jan will jetzt nicht lernen. Da stellt sie ihm eine Sanduhr hin. „Ok, in fünf Minuten.“ Darauf lässt Jan sich ein. In der Lernzeit soll Jan Rechteck auf Rechteck legen, Quadrat auf Quadrat, das Pferd zum Stall sortieren, die Tasse in die Küche. Dann ist drei Minuten Pause. „Die hätte er früher nicht durchgehalten, da wäre er durchgedreht“, sagt seine Mutter. 

Kleine Erfolge wie diese sind es, die das Leben der Familie entspannter machen. Dass er es inzwischen schafft, beim Essen sitzen zu bleiben und seinen Joghurt selbstständig zu essen. Lara Smith erklärt die Ziele des Autismus-Zentrums so: „Wir wollen, dass die Menschen selbstständiger werden. Dass sie ihrem nächsten Betreuer sagen können, sie wollen Erdbeerjoghurt und nicht Kirsche.“ 

Claudia Dehne ist dankbar, dass es das Autismus-Zentrum gibt. „Hier bekommt Jan die Strukturen und die Möglichkeiten, die er braucht. Ich habe hier Menschen, die mich verstehen. Und ich habe gelernt, in mir selbst zu ruhen, dass es nichts ändert, ob ich laut werde oder nicht. Jan ist wie er ist.“ Was sie machen würde, wenn es das Autismus-Zentrum nicht gäbe? Claudia Dehne überlegt. Dann sagt sie: „Keine Ahnung. Es wäre für uns alle eine Katastrophe.“