Auch ich brauche Hilfe. Immer wieder.

Wo brauchen wir in unserem Leben Hilfe und Unterstützung von anderen? Unser Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke blickt auf seine sechseinhalb Lebensjahrzehnte zurück und erkennt: Auch ich brauche Hilfe. Immer wieder.

Jede*r braucht Hilfe. Irgendwann. Als mir unsere Kommunikationsabteilung dieses Motto für die Woche der Diakonie 2025 vorschlug und dabei etwas keck meinte: „Sie auch!“, war ich zunächst etwas irritiert. Aber der Kommentar meines Teams „Sie auch!“ und auch der Gedanke, welchen Wert unser Sozialstaat und unsere Arbeit hat, ging mir nah. 

Wo habe ich in den vergangenen sechseinhalb Jahrzehnten Hilfe und Unterstützung gebraucht? Auch abseits staatlicher Hilfen – zum Beispiel, dass jemand für meine Ängste und Sorgen ein offenes Ohr hatte oder mir mit einem guten Wort geholfen hat, den für mich richtigen Weg zu finden?

Und wenn ich ehrlich bin, brauchte ich in meinem Leben tatsächlich immer mal wieder Hilfe. In ganz unterschiedlicher Art und Weise.
Ich blicke zurück auf meine Schul- und Ausbildungszeit. Die verlief nicht geradlinig. Auf der Realschule in Emden hatte ich mit Frau Krahnert eine großartige Lehrerin, die mich gesehen und unterstützt hat – auch und gerade in der Zeit, in der es nicht rund lief und ich nicht nur faul war, sondern sich die Faulheit auch in den schulischen Leistungen spiegelte. Sie traute mir was zu, und längst nicht jede meiner schulischen Eskapaden landete bei mir zu Hause – zum Glück.

Das war ermutigend und stärkend. Danke!

Falls jemand von Ihnen noch Kontakt zu tollen Lehrer*innen aus der Schulzeit hat, sagen Sie doch mal „Danke“. Ich bin mir sicher: Ohne Frau Krahnert oder all die anderen engagierten Lehrer*innen hätte mein Weg anders ausgesehen – vielleicht auch der Ihrige?

Jeder Mensch braucht gute Bildung, Perspektiven und Verständnis - nicht irgendwann, sondern immer wieder in seinem Leben. Da haben Lehrer*innen eine zentrale Rolle. Oft vergessen wir die kleinen Hilfen, die uns geschenkt werden, die wir annehmen oder ablehnen können. Immer wieder haben mir Menschen in unterschiedlichen Funktionen geholfen. Mal haben sie meinen Horizont geweitet, mal haben sie mich korrigiert, wenn ich mich zu verlaufen drohte.


Nach meinem mäßigen Realschulabschluss habe ich eine Lehre als Industriekaufmann begonnen. Und mein Ausbildungsbetrieb war da ganz die alte Schule: Ich war der „Stift“, nicht der Azubi. Und der Chef war der „Alte“, der mich ganz schön eng geführt hat. „Seine“ Lehrlinge machten einen guten Abschluss. Damit war seine Erwartung klar: „Du auch.“

Er hat mich gefordert – und gefördert. Ich habe Selbstvertrauen getankt. Und gedacht: Da geht noch was! Ich konnte lernen, mich entwickeln.
Auch aufgrund des Zuspruchs meines Chefs und meiner Erfahrungen während der Ausbildung, habe ich mich entschieden, doch nochmal zur Schule zu gehen. 
Mein Abitur habe ich auf dem zweiten Bildungsweg an einem Kolleg mit Internat gemacht.

Eine tolle Erfahrung, als fast Erwachsener die Chance zu haben, grundständig zu lernen und Bildung als Geschenk zu begreifen. Da bin ich Profiteur der sozialliberalen Geschichte „Aufstieg durch Bildung“.
Ich habe BaFöG bekommen: drei Jahre „geschenkt“, fünf Jahre als Darlehen. Ohne diese Unterstützung hätte ich meinen Weg nicht gehen können.
Auch am Kolleg gab es Lehrer*innen, die neue Türen öffneten: Musik und Oper, Literatur. Diese neue Welt weckte bei mir Neugierde und Interesse. Ich wollte mehr lernen, mehr erfahren. Ich empfand Lernen nicht mehr als Belastung, sondern hatte plötzlich Freude daran – und tatsächlich auch Erfolg. Man könnte fast sagen: Ich war fleißig.

Frau Krahnert staunte nicht schlecht, als ich ihr von meinen schulischen Leistungen berichtete. Dass ich auf einmal zum „Meisterschüler“ wurde, lag sicherlich an dem größeren Interesse an den Themen, aber es lag auch an einer bestimmten Person, die sich meiner angenommen und an mich geglaubt hat: mein Heimleiter. Er hatte immer ein offenes Wort für mich, das ich manchmal brauchte. Und was auch geholfen hat, dass ich nicht scheitern wollte. Mit ihm bin ich übrigens bis heute befreundet und das offene Wort erhalte ich zum Glück auch noch ab und an. Denn Jede*r braucht von Zeit zu Zeit klare Worte und ein offenes Ohr.

Die Zeit am Kolleg hat die Idee gestärkt, Theologie zu studieren. Ich folgte einem Freund aus meinem ostfriesischen Dorf nach Erlangen. Eine gute Entscheidung. Dort fand ich Zugang zum Beratungszentrum „Offene Tür Erlangen“. Eigentlich wollte ich mich nur in die Seelsorgepraxis einüben. Praktisch habe ich gelernt, dass vor dem Tun für andere, man sich erstmal mit sich selbst beschäftigen und Beratung in Anspruch nehmen sollte. Ich hatte einen ebenso skurrilen wie kompetenten Ausbilder, bei dem ich dann eine Ausbildung absolvierte. Auf dem Lehrplan standen unter anderem viel Selbsterfahrung oder auch aufgenommene Beratungsgespräche analysieren.

Von dieser lebensnahen Schule habe ich sehr profitiert, bin daran gewachsen. Vor allem habe ich gelernt, dass es hilft, sich Hilfe zu suchen, wenn es nötig ist. Aber: Man muss dann auch wissen, dass und wo es solche Unterstützung gibt.

Und daran, so meine Erfahrung aus der Praxis, scheitert es oftmals.

Deshalb war es mir ein Anliegen, in „meiner“ Kirchengemeinde in Einbeck, in der die Feuerwache lag, den Kamerad*innen Begleitung anzubieten. Heute heißt das Notfallseelsorge.

Noch heute denke ich daran, wie nach einem Gottesdienst ein Fahrzeug mit Blaulicht vor der Tür stand und es hieß ‚Wir brauchen Dich jetzt‘ und wir zu einem Einsatzort fuhren. Das ging manchmal an die Nieren, und ich war froh, dass ich meinen Ausbilder aus Erlanger Zeiten immer kontaktieren konnte, auch wenn es um die Nachbesprechung für Einsatzkräfte ging.

Als Superintendent in Wolfsburg und auch als Vorstandsvorsitzender in Schwäbisch Hall oder nun im DWiN habe ich immer wieder Coaching in Anspruch genommen. Ich hatte eine großartige Coachin, die mich nicht nur unterstützte, sondern auch kräftig forderte. Danach musste ich mich oft erst einmal sortieren, im Nachgang meine Gedanken aufschreiben und reflektieren. So anstrengend das häufig war, so sehr hat es mir bei meinen Führungsaufgaben geholfen.

Seit vielen Jahren bin ich nun in verantwortlicher Position in der Diakonie tätig. Als Geschäftsführer eines diakonischen Krankenhauses in Schwäbisch-Hall hat mich oft der exklusive Zugang zu Hilfe und Pflege nachdenklich gemacht. Wie schnell bekam ich einen MRT-Termin oder konnte einen Zugang zum Facharzt vermitteln.

Jede*r braucht einmal Hilfe — aber nicht jede*r kann sich diese auch leisten oder findet einen schnellen und einfachen Zugang.

Bei der Diakonie in Niedersachsen kann ich nun meinen politischen Einfluss nutzen, dass es nicht sein kann, dass Hilfe in kritischen Lebenslagen davon abhängig ist, ob man jemanden kennt, der Hilfe vermittelt und beschleunigt.

Und wenn ich in die Zukunft blicke, dann wird mir klar, dass ich wahrscheinlich zunehmend auf Hilfe angewiesen sein werde – auch wenn ich das nicht unbedingt gut finde. Aber was ich gut finde, ist, dass wir in einem Staat leben, in dem es Hilfe und Unterstützung gibt.
Für mich ist der Sozialstaat ein hohes Gut und ein Garant dafür, dass unsere Gesellschaft zusammengehalten wird. Er sorgt für den sozialen Ausgleich, hilft in Notsituationen und vermittelt uns damit: Du bist nicht allein.

Funktionierende und verlässliche Unterstützungssysteme ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe und stabilisieren unsere Demokratie. Angesichts von Kostendruck und Sparmaßnahmen aufgrund der angespannten Haushaltssituation auf allen Ebenen ist es gut, sich und andere, insbesondere Politiker*innen, zu fragen: Was ist uns ein verlässlicher Sozialstaat wert? Denn wenn die Kita nicht zuverlässig funktioniert, ein ambulanter Pflegedienst oder eine stationäre Einrichtung einfach nicht zu finden ist oder ich trotz akuter Schmerzen mehrere Wochen auf einen Facharzttermin warten muss, stellt das die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens in Frage und spielt denen in die Hände, denen genau daran gelegen ist.

Jede*r braucht Hilfe – irgendwann. Davon bin ich überzeugt. Und es ist wichtig, dass dann auch Unterstützung möglich ist.

Wir als Diakonie und Kirche müssen gemeinsam mit vielen anderen in der Wohlfahrt, den Kostenträgern und der Politik daran arbeiten, dass das dann auch gelingen kann. Die Woche der Diakonie ist eine gute Gelegenheit, allen zu danken, die anderen helfen: in Pflege und Kita, in Beratung und Klinik, in Jugendhilfe und der Arbeit für Menschen mit Behinderungen.

Danke!

Und all denen, die diese Systeme mit ihren Beiträgen am Laufen halten, gilt ebenso der Dank. Sicherlich werden Sie froh sein, dass unser Sozialstaat funktioniert, wenn Sie entdecken: Jede*r braucht Hilfe – heute ich!