Zum zweiten Mal hat die Diakonie in Niedersachsen Leitungen der Kindertagesstätten der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers in einer Studie zur Personalsituation und Arbeitsbelastung befragt. Die Studie liefert damit nach 2022 erneut repräsentative Einblicke in die Themenfelder Fachkräftemangel, Belastungslagen des Personals und die daraus resultierenden negativen Entwicklungen in Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten und formuliert gleichzeitig klare Forderungen an die Politik. Befragt wurden 709 Kita-Leitungen aus insgesamt 720 Einrichtungen. Insgesamt haben 446 Kita-Leitungen an der Umfrage teilgenommen.
„Auf den ersten Blick können die Ergebnisse der Studie positiv interpretiert werden. Der Personalmangel ist nicht mehr so gravierend wie noch 2022. Trotzdem hat sich die tatsächliche Situation in den Kitas nicht entspannt. Gruppenschließungen, Verringerungen der Randzeiten und auch Kürzung der Kernbetreuungszeiten sind immer noch Alltag in den Kitas der evangelischen Landeskirche Hannovers“, konstatiert Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen.
2022 hatten rund 75 Prozent der Kitas angegebenen, dass sie eine oder mehrere Stellen nicht besetzen konnten. 2025 gaben nur noch 35 Prozent der Kita-Leitungen an, dass sie eine oder mehr Stellen unbesetzt haben. Trotz der besseren Stellenbesetzung mussten 77 Prozent der Kitas 2025 Gruppenschließungen vornehmen (2022: 63 Prozent), 79 Prozent verringerten ihre Randzeiten (2022: 76 Prozent) und 75 Prozent kürzten Kernbetreuungszeiten (2022: 62 Prozent).
Dr. Eva Berns, Bereichsleiterin der Fachberatung evangelischer Kitas bei der Diakonie in Niedersachsen, erläutert: „Mehr Personal bedeutet eben nicht unbedingt weniger Belastung. In der Studie wird deutlich, dass durch die Anleitung von nicht-pädagogischem oder Zeitarbeitspersonal, Organisationsaufwand sowie erhöhter Bürokratie die Belastungen für die Fachkräfte gestiegen sind. Diese Arbeiten müssen im normalen Arbeitsalltag integriert werden, eine auskömmliche Refinanzierung oder eine zeitlich auskömmliche Freistellung für diese Arbeit gibt es bis jetzt nicht. Das sind alles Faktoren, die Stress befördern und damit ansatzweise auch den erhöhten Krankenstand und die Ausfallzeiten in den Kitas erklären können.“
91 Prozent der Leitungen bewerten ihr Team als verlässlich, zugleich haben Motivation und Gesundheit der Mitarbeitenden sich gegenüber 2022 weiter verschlechtert. 48 Prozent der Kita-Leitungen nehmen ihr Team nicht als mental gestärkt wahr, auch die körperliche Gesundheit sowie die Gesundheit der Mitarbeitenden insgesamt werden von den Kita-Leitungen eher negativ beurteilt.
Neben den oben genannten Belastungsfaktoren spielt auch das Arbeitssetting für das gesundheitliche Wohlbefinden der Mitarbeitenden eine große Rolle.
„In Kitas ist grundsätzlich der Lärmpegel höher als in vielen anderen Arbeitsfeldern – das liegt in der Natur der Sache und ist auch vollkommen in Ordnung. Die Lärmbelastung könnte jedoch durch einfache bauliche Maßnahmen gesenkt werden. Deshalb appelliere ich eindringlich an die Politik, dass die Gelder aus dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität des Bundes auch für die Modernisierung von Kitas genutzt und für bauliche Maßnahmen zum Lärmschutz, wie z.B. schallschluckende Möbel oder Akustikpanels, eingesetzt werden“, erläutert Diakonie-Chef Lenke.
Neben gesundheitsfördernden Maßnahmen sieht die Pädagogische Geschäftsführerin des Kita-Verbands Emden-Leer-Rhauderfehn, Alke Eden die Anerkennung der pädagogischen Expertise der Kita-Mitarbeitenden für die Fachkräftegewinnung als zentral an: „Wir brauchen dringend qualifizierten Fachkräftenachwuchs. Schon jetzt erhalten wir meist zu wenig qualifizierte Bewerbungen auf eine ausgeschriebene Stelle. Der Markt an pädagogischen Fachkräften ist leergefegt. Mit dem Vorurteil, Erzieher*innen malen, basteln und trinken Kaffee, muss endlich aufgeräumt werden. Die Anerkennung der pädagogischen Expertise spielt dabei eine wichtige Rolle. Kitas sind frühkindliche Bildungseinrichtungen. Dort wird die Basis gelegt. Und dafür braucht es gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte, die Zeit für ihre pädagogischen Aufgaben haben.“
Wie angespannt die Personalsituation tatsächlich ist, wird an den Bewerbungszahlen deutlich. 72 Prozent der Kitas geben an, dass sie pro ausgeschriebene Stelle weniger als drei Bewerbungen erhalten. Verschärfend kommt hinzu, dass die fachliche Eignung der Bewerber*innen von den Kita-Leitungen häufig als nicht ausreichend eingeschätzt wird.
Teilweise personelle Entlastung bekommen die Kitas durch den Einsatz von Sozialassistent*innen. Allerdings schlägt sich diese nicht in der Übernahme von Gruppenleitungsaufgaben nieder.
„Der Plan der Politik alternative Wege zur Gruppenleitung zu ermöglichen, zeigt kaum Wirkung: Assistenzkräfte übernehmen selten Gruppenleitungen, und sie nehmen kaum an Weiterqualifizierungen zur Gruppenleitungen teil. Gründe hierfür sind fehlende Anreize, familiäre Belastungen und lange Wege. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass die Übernahme von Verantwortung für die Adressat*innen nicht attraktiv genug erscheint”, stellt Dr. Eva Berns fest.
In der Zeit nach Corona, so zeigen es die Umfragen von 2022 und 2025, sind Familien anhaltend unter Druck: Eltern erleben vermehrt Stress (74 Prozent), Verzweiflung (46 Prozent) und Existenzängste (39 Prozent). Das Verständnis für die Situation in den Kindertagesstätten sank von 86 Prozent auf 78 Prozent.
Der Stress der Eltern sowie der Mitarbeitenden in der Kita ist seit Corona und darüber hinaus zu einem unguten Wegbegleiter von Kindern geworden. Aus Forschung und Wissenschaft wissen wir, dass anhaltender Stress negative Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung hat1.
„Pädagogische Fachkräfte sind für das Gelingen des frühkindlichen Bildungsauftrags zentral. Im Schnitt verlassen Erzieher*innen den Kita-Bereich nach rund fünf Jahren und suchen sich andere Betätigungen im Bereich der Pädagogik. Dies hat Auswirkungen auf die Teamsituation, aber auch auf die Kinder. Kinder benötigen Zeit, um Vertrauen aufbauen zu können, ebenso die Eltern. Ständiger Wechsel, fehlende Bezugspersonen, das alles beeinträchtigt die Entwicklung der Kinder. Deshalb braucht es so dringend verlässliche Strukturen“, so Alke Eden.
„Neben der immer noch angespannten Personalsituation und den daraus resultierenden Herausforderungen, bereitet mir ein Ergebnis der Studie besonders große Sorgen. Wir haben in diesem Jahr auch nach dem Vertrauen in die Politik und deren Lösungskompetenz gefragt. Das Ergebnis muss die Politik alarmieren und ein echtes Warnsignal sein. 90 Prozent der Kita-Leitungen fühlen sich von der Politik nicht ausreichend unterstützt, nur 8 Prozent beurteilen die politischen Maßnahmen als ausreichend. Dieser Vertrauensverlust muss dringend angegangen werden und das klappt nur, wenn viele der sinnvollen Forderungen aus der Praxis Eingang in die Politik und Gesetzgebung finden“, stellt Hans-Joachim Lenke klar.
„Dazu gehört eine angemessene Ausbildungsvergütung, die mit der Vergütungsstruktur anderer Ausbildungsberufe annähernd mithalten kann. Ebenso braucht es eine qualitativ gute Praxisbegleitung für Auszubildende und nachhaltige Onboarding-Prozesse, damit die Fachkräfte in den Kindertagesstätten bleiben und wir den Fünf-Jahres-Ausstiegs-Trend stoppen“, fordert der Diakonie-Chef.
Dr. Eva Berns ergänzt: „Es dürfen aber auch die langjährigen Fachkräfte und deren Bedürfnisse nicht aus dem Blick geraten. Sie benötigen eine stärkere Personalbindung durch bessere Arbeitsbedingungen, Team-Building und refinanzierte Fach-Teamtage für Fortbildung und Reflexion. Das alles steigert die Attraktivität des pädagogischen Berufs, stärkt unsere Kitas und sorgt dafür, dass die Kinder von Beginn an eine frühkindliche Bildung erfahren und so gut in ihr Leben starten können.“
„Für die Realisierung der Forderungen müssen sich rechtliche Rahmenbedingungen zur Refinanzierung von Fortbildung und Fachberatungen ändern. Durch die demografische Entwicklung werden mittelfristig die Kinderzahlen sinken. Hier besteht die Chance, diese Entwicklung bei der Novellierung des NKiTaG zu berücksichtigen: Der Fachkraft-Kind-Schlüssel sollte so festgelegt werden, dass im Ergebnis weniger Kinder durch ein*e Erzieher*in in kleineren Gruppen betreut werden“, fordert Dr. Eva Berns abschließend.
1 Eilers, I. (2024). Selbstregulation und Ko-Regulation in der Kita – wie kindlicher Stress und erwachsenes Wohlbefinden zusammenhängen. In R. Dreyer (Hrsg.), Kita-Fachtexte 7.
