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Hans-Joachim Lenke; Foto: Jens Schulze
Hans-Joachim Lenke; Foto: Jens Schulze

Neu lernen, dem Zusammenleben Raum Zu geben

„Veränderungen beginnen im Kleinen und erfordern oft eine große Portion Mut“, sagt Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen. Er wünscht sich mehr Räume für echte Begegnungen und gesellschaftlichen Austausch.

Wann haben Sie sich das letzte Mal den Raum genommen, für eine Diskussion? Für ein Gespräch? Für einen echten Austausch? Und ich meine jetzt nicht, jede*r sagt mal, was sie oder er denkt, sozusagen eine Aneinanderreihung von Aussagen. Ich meine ein richtiges Gespräch. Mit Zuhören und Nachfragen. Mit Interesse an der Position meines Gegenübers und Bereitschaft zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Mit Argumenten und Gegenargumenten. Mir scheint zunehmend, dass wir das als Gesellschaft in gewisser Weise verlernt haben. Jede*r ruft seine oder ihre Meinung in die Welt - meist besonders laut auf Social Media. Die Folge: Wird der eigenen Meinung zugestimmt, ist die Welt in Ordnung. 

Dort, wo kein Austausch mehr möglich ist, ist die Demokratie in Gefahr.

Hört man jedoch ein Widerwort, endet die angebliche Diskussion oftmals in Beschimpfungen. Die beiden Parteien stehen sich dann häufig erbittert gegenüber und jede*r pocht auf sein „Recht“. Schwarz oder Weiß - keine Grautöne, keine Zwischentöne sind mehr möglich. Was in der digitalen Welt schon längst zum Alltag gehört, schwappt auch in unsere analoge Welt und prägt damit auch die Art unseres Zusammenlebens. Dort, wo es keinen Austausch mehr gibt, gibt es auch kein echtes Zusammenleben mehr. Das erlebe ich als eine Gefahr für unsere Demokratie.

Seit der Corona-Pandemie finde ich, sind viele von uns ganz schön einsiedlerisch geworden. Rechthaberisch. Absolut. Vielleicht hat das auch mit Sorgen und Verunsicherung zu tun. Ich habe manchmal das Gefühl, wir kommen gar nicht mehr aus dem Krisenmodus heraus. Die Parallelität der Krisen ist auf die Dauer anstrengend und etwas zermürbend. Luft zum Verschnaufen gibt es kaum mehr. Und immer mehr drängt sich die Frage auf: Wie geht es weiter?  Diese Fragen stellen sich in der  Zwischenzeit viele - allerdings stellen wir sie zu oft innerhalb des eigenen Diskursraums. Wir gehen zu wenig in den Austausch mit Andersdenkenden und so bleibt jede*r mit seiner Sorge allein. Schade!

Mir persönlich ist das Wort aus dem Römerbrief wichtig, in dem Paulus schreibt: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes!“ Mir ist das mal Kraftquelle, mal Trostwort - aber immer wieder ganz wichtig. Er schreibt dies jedoch nicht an einen einzelnen Christenmenschen, sondern an eine Gemeinde. Und Paulus zählt vieles auf, das Kraft hat, alles andere zu verdrängen: den Tod, das Leben, Mächte und Gewalten. Und ich ergänze: angesichts der Krisen unserer Zeit auch die Sorge um die Zukunft. Eigentlich eine gute Basis: Sorgen haben ihr Recht, aber sie beherrschen mich nicht. Auch eine gute Basis für den Austausch mit Menschen, die anders denken und sich Sorgen machen. Vielleicht vor etwas anderem als ich. Aber das könnte doch das Gemeinsame sein, das Raum öffnet: Wir machen uns Sorgen und müssen deshalb miteinander reden.

Ich bedaure, dass unsere Kirchen, unsere Gemeindehäuser oft nicht mehr Orte eines solchen Austausches sind, auch wenn sie mit ihren Kirchtürmen weithin sichtbar sind. Es wäre doch schön, wenn sie auch heute einladen und Räume öffnen würden: für den Diskurs, für den Austausch, für das Ringen um tragfähige politische Positionen. Ich habe den Kompromiss immer schätzen gelernt. Nicht eine Position setzt sich durch. Begegnung und Austausch tragen Früchte. Das ist kein Zeichen von Schwäche, im Gegenteil: Es stärkt die Demokratie und das Miteinander. Unsere Räume können solche Orte sein. Wenn wir von Sozialraumorientierung sprechen, gehört das für mich mit dazu. Kirchen können Orte sein und werden, in denen wir unsere eigene Blase verlassen und uns mit dem Auseinandersetzen, was um uns herum gesagt und gehört wird.

Wir müssen uns als Kirche und Diakonie selbst hinterfragen

Als Diakonie in Niedersachsen haben wir für dieses Jahr bewusst das Thema „Raum geben“ gewählt, um damit Möglichkeiten zu eröffnen, vielfältige Themen zu diskutieren. Dabei ist es mir wichtig, dass wir uns als Diakonie und Kirche zunächst auch kritisch hinterfragen. Wie offen gestalten wir in unseren Räumen das Zusammenleben? Wo und  wie übernehmen wir in unseren Sozialräumen Verantwortung füreinander? Wo sind wir als Kirche und Diakonie in die gesellschaftlichen und demokratischen Prozesse vor Ort eingebunden und können uns dafür einsetzen, dass jedem Menschen gesellschaftliche, politische und kulturelle Teilhabe ermöglicht wird? 

Ich bin der festen Überzeugung, dass es genau diesen Raum der Begegnungen und des Diskurses braucht, damit Menschen mit ihren vielfältigen Bedürfnissen und Haltungen gut zusammenleben können. Es ist noch gar nicht so lange her, da war es selbstverständlich, dass dafür kirchliche Räume genutzt wurden. Die Deutsche Einheit wäre vermutlich nicht so verwirklicht worden, wenn nicht in den 1980er Jahren in Ostdeutschland Kirchengemeinden ihre Räume geöffnet hätten. Christ*innen und Nichtchrist*innen haben diese Räume gemeinsam für die Planung und den Austausch für die friedliche Revolution genutzt. 

Wir müssen die Menschen mit ihren Sorgen und Bedürfnissen wahrnehmen

Wir können neu entdecken, unsere Räume als attraktive Orte der Begegnung von Menschen und der Entwicklung weiterführender Ideen zu gestalten. Kirche und Diakonie können dabei eine wichtige Funktion übernehmen. Sei es im öffentlichen Raum bei Stadtfesten, sei es in kirchlichen Räumen, die weiterentwickelt werden oder in diakonischen Räumen, in denen Menschen Hilfe erfahren. Das ist der Beitrag, den wir für den Erhalt unseres Zusammenlebens leisten können. 

Aber eins ist auch klar: Wir können das Miteinander nicht alleine schaffen. Aber wir können als starke Partner Prozesse anstoßen, Initiativen ergreifen und Menschen zusammenbringen. Wir sind dabei auf das Zusammenspiel von Politik und anderen gesellschaftlichen Akteur*innen angewiesen. 
Gemeinsam sind wir aufgefordert, die Menschen mit ihren Sorgen und Bedürfnissen wahrzunehmen und Lösungen zu finden, sowohl für das gesellschaftliche Miteinander als auch für eine starke soziale Infrastruktur. Es braucht die gemeinsame Anstrengung aller, damit es in unserer Gesellschaft gerechter zugeht und gerade den Menschen in existentieller Notlage Perspektiven eröffnet werden. 

Mutig — stark — beherzt: Veränderungen beginnen im Kleinen

Veränderungen beginnen im Kleinen und erfordern oft eine große Portion Mut. Aber es lohnt sich! Begegnung ermöglichen, Austausch fördern, zuhören, das wollen wir 2024 versuchen. „Mutig, stark, beherzt“ lautet die Losung für den Kirchentag 2025 in Hannover. Warten wir nicht bis dahin, sondern fangen wir jetzt an. Lassen Sie uns mutig, stark und beherzt das Leben hier und heute gestalten. Geben wir dem Zusammenleben Raum.
 

 

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