„Im Gesundheitsbereich gibt es derzeit kaum ein drängenderes Problem als die Finanzierung der Pflege. Seit Jahren fordern wir eine Reform der Pflegeversicherung und haben Konzepte vorgelegt, wie es funktionieren kann. Dennoch sind die Formulierungen im Koalitionsvertrag alle recht vage. Für uns steht jedoch fest: Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Die neue Gesundheitsministerin, Nina Warken muss die Pflegereform auf Platz 1 ihrer To-Do-Liste setzen“, fordert Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen.
„Um die Pflegeversicherung auf finanziell sichere Beine zu stellen, müssen alle Einkommensarten einbezogen werden. Zur Finanzierung sollten neben den klassischen Arbeitseinkommen auch andere Einkommensarten wie Kapitalerträge und Mieteinnahmen in die Beitragsberechnung einbezogen werden. Gleichzeitig muss eine ergänzende staatliche Unterstützung die Kosten für das Wohnen und die Verpflegung für Bedürftige abfangen. Ein weiterer Baustein wäre die Zusammenfassung von gesetzlichen und privaten Versicherungen, wie beispielsweise Prof. Dr. Rothgang in seinem Gutachten darstellt“, führt Lenke weiter aus.
„Ziel muss eine Pflegevollversicherung mit begrenztem Eigenanteil sein, die den Pflegebedarfen von Menschen Rechnung trägt, unabhängig vom Wohnort, von ambulanten oder stationären Versorgungssettings. Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Denn die finanzielle Belastung der zu Pflegenden im stationären Setting ist nicht mehr tragbar“, so Sven Schumacher, Vorstandsvorsitzender des Niedersächsischen Evangelischen Verband für Altenhilfe und Pflege.
In Niedersachsen beträgt die durchschnittliche Rente für Männer 1.800 Euro. Frauen erhielten 2023 im Schnitt 1.333 Euro. Der Eigenanteil für einen Pflegeplatz beträgt in Niedersachsen jedoch inzwischen rund 2.870 Euro. Die riesige Lücke ist offensichtlich. Deshalb bleibt für viele zu Pflegenden nur noch die Beantragung der „Hilfe zur Pflege“ – also Sozialhilfe. Als monatlichen Barbetrag, über den die zu Pflegenden selbst verfügen können, erhalten sie 152 Euro.
„Für Pflegebedürftige sowie für die Lebenspartner*innen ist die Armutsfalle ‚Pflege‘ längst Realität. Immer mehr können die finanziellen Mittel für die notwendigen Leistungen nicht mehr aufbringen. Die Folge: Die Pflegebedürftigen bleiben unterversorgt zurück und die Hauptlast der Pflege verlagert sich weiter ins Private, indem pflegende An- und Zugehörige die Versorgung allein übernehmen und auf Dauer häufig selbst durch Überlastung erkranken. Professionelle Pflege darf nicht zum Luxusgut Einzelner werden“, ergänzt Andrea Hirsing, Leitung des Bereichs Pflege und Gesundheit bei der Diakonie in Niedersachsen.
„Wir erleben es in unserer täglichen Arbeit, wie belastet An- und Zugehörige von zu Pflegenden sind. Körperlich, psychisch und zunehmend auch finanziell. Pflege ist ein 24/7 Job, ohne Feierabend und mit wenig Pausen. Deshalb sind unsere Tagespflegeeinrichtungen ein wichtiges Entlastungsangebot für die An- und Zugehörigen, das dringend ausgebaut werden muss,“ so Kerstin Hoffmann, Pflegedienstleitung Tagespflege Christophorus in Hildesheim.
„Gemeinsam mit unserem Fachverband NEVAP haben wir die Kampagne ‚Pflege braucht kein Mensch. Nur die rund 600.000 Pflegebedürftigen in Niedersachsen.‘ initiiert. Wir wollen damit auf die herausfordernde Situation der zu Pflegenden, aber auch der Pflegeeinrichtungen – seien es stationäre, teilstationäre oder ambulante – aufmerksam machen“, erläutert Hans-Joachim Lenke.
Und Sven Schumacher ergänzt: „Deshalb laden wir bis zur Sommerpause Politiker*innen von Bund, Land und Kommune in unsere Einrichtungen ein, zu hospitieren und den Alltag in der Pflege hautnah mitzuerleben. Eine Pflegereform ist eine Mammutaufgabe. Diesen Kraftakt bekommen wir nur hin, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Und ein Entwurf für eine Pflegereform muss jetzt beherzt angegangen werden.“
Die Diakonie in Niedersachsen hat insgesamt 143 ambulante Pflegedienste, 156 stationäre Pflegeeinrichtungen, 88 teilstationäre Pflegeeinrichtungen sowie 10 stationäre Hospize und ist ein wichtiger Anbieter und Arbeitgeber für Pflegeleistungen in Niedersachsen.