Auf dem Weg zum eigenständigen Leben

Ein Besuch in der Anna-Lina-Wohngruppe in Celle

Was sie sich für ihre Zukunft wünscht, das weiß Elena* ganz genau: „Dass wir eine schöne eigene Wohnung haben. Dass ich für meine Kinder da sein kann, wenn sie aus der Schule kommen.“ Im Moment sieht ihr Leben noch anders aus: Ihre große Tochter lebt in einem Heim. Elena selbst wohnt mit ihrem kleinen Sohn im „Anna Lina“ in Celle, einer Mutter-Kind-Einrichtung der Stiftung Linerhaus, die zur Diakonie gehört.

„Wer hier lebt, befindet sich „in einer besonderen Lebenslage“, sagt Abteilungsleitung Sabrina Stoch. „Die meisten sind hier, weil sie die Wahl haben, ob sie ihr Kind abgeben oder in eine betreute Einrichtung wie unsere gehen – das ist nicht wirklich eine Wahl.“ Im „Anna-Lina“ lernen sie, sich auf das Leben mit Kind in einer eigenen Wohnung vorzubereiten. Sieben Mütter im Alter von 17 bis 37 Jahren sind es im Moment, ihre Kinder alle im Kleinkindalter. Wie lange sie bleiben, wird gemeinsam mit dem Jugendamt entschieden.

Elena sitzt am Küchentisch und blickt aus dem Fenster. „Arbeiten, das werde ich wohl nicht mehr können, das schaffe ich psychisch nicht“, sagt sie. Elena überlegt. Und schon beim nächsten Satz liegt eine Menge Optimismus in ihrer Stimme: „Aber vielleicht kann ich ehrenamtlich was machen. Mit Obdachlosen. Da kann ich was weitergeben.“ 

Die 35-Jährige hat selbst viele Jahre auf der Straße gelebt. So richtig leicht war ihr Leben noch nie. Sie ist im Heim aufgewachsen, weil ihre Eltern drogenabhängig waren. Schon früh ist sie selbst in die Abhängigkeit geraten: Mit zwölf Jahren hat sie angefangen zu trinken, mit 14 zu kiffen, mit 15 nahm sie Ecstasy, mit 19 dann Heroin und Kokain. Sie hatte gerade eine Entgiftung hinter sich, als sie zum ersten Mal schwanger wurde. Das war vor zehn Jahren. „Wir haben nicht verhütet, aber ich dachte, ich kann gar nicht schwanger werden – vorher war es ja auch nie passiert.“ Drei Wochen nach der Geburt ist sie in die Anna-Lina-Wohngruppe gezogen. Nach einigen Jahren, in denen sie versucht hat, ihr Leben selbst zu organisieren, lebt sie dort auch heute wieder, mit ihrem zweiten Kind. 

Jede Mutter hat für sich und ihr Kind in der ersten Etage des Hauses ein eigenes Zimmer mit eigenem Bad. Im Erdgeschoss leben sie wie in einer ganz normalen Wohngemeinschaft – nur mit dem Unterschied, dass immer eine Sozialarbeiterin oder Erzieherin dabei ist. Es gibt ein Spielzimmer, einen Esstisch und eine große Küche. Heute ist Elena mit dem Kochen dran. „Immer montags und mittwochs, ich habe die M-Tage“, sagt sie. Regeln wie diese bringen Struktur in ihren Alltag. 

Elena geht zum Herd und beginnt zu kochen. Für die ganze Gemeinschaft. Wer für so viele Leute kochen kann, kann es später auch für die eigene kleine Familie. „Können die Erbsen auch in die Sahne, wenn die schon heiß ist? Ich hab‘ die Erbsen vergessen“, sagt Elena und blickt fragend zu Sabrina Stoch, die ihr aufmunternd zunickt. „Oft glauben die Mütter hier, es ist schlecht, wenn man Hilfe braucht. Dabei ist es genau umgekehrt – es ist gut, wenn man merkt, dass man Hilfe braucht und sie sich holt“, sagt die Leiterin. Elena habe das schon sehr gut verstanden. Denn diese Regel gelte ja nicht nur beim Kochen, sondern überhaupt im Leben. Gerade mit Kindern. 

Als Elena vor rund einem Jahr ihr zweites Kind bekam, wusste sie sofort, dass sie Hilfe braucht. Ihre große Tochter lebte längst im Heim. Das eigenständige Leben, das Mutter und Tochter nach der Zeit im Anna-Lina-Haus versucht hatten, war gescheitert, die Sucht war stärker gewesen als der Wunsch nach einem ganz normalen Leben. Mit ihrem kleinen Sohn meldete sie sich von allein beim Jugendamt. „Erst kam ich hier im Haus in Modul II, da hat man schon sehr ein eigenes Leben, aber immer einen Ansprechpartner“, erläutert Elena. „Aber dann war ich ein paar Mal für die Erzieher nicht erreichbar. Sowas geht nicht – und dann kam ich wieder hierher, in Modul I, wo immer jemand mit im Haus ist. Ich glaube, diese Sicherheit wollte ich unbewusst haben und habe mich deshalb so verhalten.“ Inzwischen kann sie sich auch den Wechsel in das eigenständigere Wohnen wieder vorstellen, sagt sie und nimmt liebevoll ihren kleinen Sohn auf den Arm. Seine Grundversorgung klappt, sie kümmert sich gut um ihn. „Deshalb habe ich auch kein Babyfon mehr auf meinem Zimmer“, sagt sie stolz. Nur, wenn ihre große Tochter zu Besuch ist. Damit alle sicher sein können, dass sie nicht überfordert ist, wenn sie sich um beide kümmert. „Sie ist jetzt schon richtig oft bei mir – alle zwei Wochen. Einmal am Tag, einmal über Nacht. Das ist richtig schön“, sagt Elena. Und ihre Augen strahlen vor Freude und Zuversicht. Vielleicht ist ihr Traum vom Leben mit ihren Kindern in der eigenen Wohnung gar nicht mehr so weit von der Wirklichkeit entfernt.