
Einmalig in Deutschland: Menschenskind
Interview mit Katrin Sommerfeld über die Arbeit der Beratungsstelle Menschenskind
Seit 10 Jahren unterstützt die Diakovere-Beratungsstelle Menschenskind in Hannover Paare, die während der Schwangerschaft oder nach der Geburt die Diagnose bekommen, dass ihr Kind eine Auffälligkeit, Behinderung oder Einschränkung hat. Menschenskind begleitet die Familien auch in den ersten drei Jahren nach der Geburt. Das Angebot ist für die Eltern komplett kostenlos, offen für jeden, unabhängig von Religion oder behandelnden Ärzt*innen, und einmalig in Deutschland. Wir sprachen mit Katrin Sommerfeld über ihre Arbeit in der Beratungsstelle. Sie ist Dipl. Sozialpädagogin, Systemische Beraterin und Supervisorin.
Mit welchen Fragen oder auch Sorgen kommen (werdende) Eltern zu Ihnen?
Nach der Diagnose sind da zunächst der Schock, die Trauer und die Sorgen um die Zukunft der Familie und des Kindes. Fragen zum Alltag im Leben mit einem Kind mit Behinderung kommen dazu. Ganz viel geht es um Hilfe bei behördlichen Angelegenheiten. Auch die Begleitung bei wichtigen Arztterminen ist ein Anliegen der Eltern. In der Schwangerschaft geht es auch viel um die Entscheidung, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen oder beenden wollen. In der verlässlichen Begleitung unterstützen wir die Familie dann zuhause und gucken dabei auf die ganze Familie. Geschwister trauen sich oft nicht, eigene Bedürfnisse anzumelden, weil das andere Kind schon so viele hat und die Mama schon so viel zu tun hat. Aber auch sie dürfen Bedürfnisse haben.
Um welche Fragen geht es noch in Ihrer Beratung?
Auch die Sorge, was die anderen sagen, spielt eine Rolle. Die Sorge, dass das Kind, wenn es auf die Welt kommt, nur gehänselt wird. Viele müssen sich richtig verteidigen, wenn sie das Kind kriegen wollen. Sie bekommen gesagt, solche Kinder muss man ja heutzutage nicht mehr kriegen. Die überwiegende Anzahl der Kinder mit Trisomie 21 kommt nicht mehr auf die Welt. Solche Infos, etwa in den Medien, machen was mit den Paaren. Nach dem Motto, die 95 Prozent können doch nicht irren. Wir freuen uns über jedes Kind, das auf die Welt kommt, aber haben auch volles Verständnis für die Gründe, wenn sich Paare dagegen entscheiden.
Was ist Ihnen wichtig bei Ihrer Arbeit?
Wir beraten ergebnisoffen. Das ist das Erste, was ich den Eltern sage: Sie müssen nicht befürchten, hier in eine Richtung gedrängt zu werden. Die Eltern haben ihre guten Gründe für ihre Entscheidung. Niemand kann das beurteilen, außer sie selbst. Alle Fragen sind erlaubt, alle Ängste sind in Ordnung und auch nicht exotisch. Es geht fast allen Eltern in dieser Lage so. Es ist mir auch wichtig, dass die Eltern gut informiert eine Entscheidung treffen. Dazu gehören auch Informationen aus dem praktischen Alltag von Familien mit Kindern mit Behinderung. Die haben wir, weil wir Familien ja begleiten. Es gibt so viele Gerüchte: Zum Beispiel, dass Paare mit Kindern mit Behinderung sich öfter trennen. Aber es gibt eine Studie, die das widerlegt. Auch mit Behinderung sind es kleine süße Babys. Die Ängste und Herausforderungen vorab sind dann oft ganz andere, als wenn das Kind da ist.
Gibt es eine Geschichte, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Einmal kam ein Elternpaar zu mir, sie betraten den Raum mit riesigem Abstand. Der Vater sagte, wenn du das Kind bekommst, bin ich weg. Die Frau wollte das Kind aber und hat es auch bekommen. Dann habe ich die Familie besucht – und der Vater war unheimlich verliebt in das Kind. Das war eine schöne Geschichte.