Und plötzlich gab es wieder Ziele

In der Herberge zur Heimat Hildesheim bekommen Wohnungslose Zuversicht und neue Perspektiven

Marcel war 17 Jahre alt, als er zum ersten Mal wohnungslos wurde. Zu seiner Mutter war der Kontakt problematisch, zu seinen Pflegeeltern ebenfalls. Von seinem Ausbildungsbetrieb wurde er entlassen, weil er zu viele Fehltage hatte. Aus der Wohngruppe, in der er lebte, wurde er rausgeschmissen, nachdem Drogen bei ihm gefunden worden waren. 

Weil er noch nicht volljährig war, kümmerte sich zunächst das Jugendamt um ihn. Mit 18 meldete er sich bei der Herberge zur Heimat Hildesheim. „Wir sind die letzte faktische Hilfe, die es gibt“, sagt Bereichsleiter Tobias Göhl. „Wenn alle Hilfesysteme fehlgeschlagen haben, wenn die Menschen den sichersten Ort der Welt, nämlich die eigenen vier Wände, verloren haben, dann kommen sie zu uns – häufig nur mit dem, was sie am Körper tragen.“ 

So ging es auch Marcel. Mal hatte er bei Freunden geschlafen, mal in Feldern, mal in Kleingartenkolonien. „Ich war so auf Abwegen, dass ich mir keine Ziele mehr gesteckt habe. Es ging immer nur noch darum, einen Schlafplatz zu finden und meine Süchte zu befriedigen.“ Bei der Herberge zur Heimat bekam er ein Zimmer, einen Ansprechpartner und Unterstützung. „Es war ein beruhigendes Gefühl, hier zu sein“, erinnert sich Marcel. „Hier gab es Ruhe und Sicherheit.“ Irgendwann fand er Arbeit in einer Fleischerei und eine Freundin – mir ihr zog zusammen, wurde Vater. 

Doch Marcel beendete die Beziehung – aus Gesundheitsgründen: „Meine Neurodermitis wurde so stark, dass ich im Krankenhaus behandelt werden musste. Und mir wurde klar, dass das auch ein Stresssymptom aus der Beziehung war.“ Durch die Hauterkrankung musste er auch die Arbeit in der Fleischerei aufgeben. Ohne Arbeit und ohne Wohnung meldete er sich erneut bei der Herberge zur Heimat. Das war vor fünf Jahren.

„Dieses Mal habe ich mich gleich auf die Hilfe eingelassen“, sagt er. Er gab seinem Tag wieder eine Struktur: Marcel stand morgens auf, strich Zimmer, renovierte, arbeitete im Garten der Herberge. „Alle zwei Wochen habe ich beim Drachenbootfahren mitgemacht – da war ich sportlich gefordert, spürte die Gemeinschaft, das war etwas ganz Neues für mich.“ Und noch etwas hat ihm geholfen, sagt der heute 31-Jährige: „Egal, was für ein Problem ich hatte – ich konnte immer zu meinem Sozialarbeiter gehen. Er hat mich so oft von 180 auf Null runtergeholt. Er hat mich so oft motiviert weiterzumachen, wenn ich kurz davor war aufzugeben.“ 

Der Sozialarbeiter, der für ihn zuständig war, war Bereichsleiter Tobias Göhl. „Wir bieten nur die Möglichkeiten. Die Leute, die zu uns kommen, müssen selbst entscheiden, mitzumachen.“ Und Marcel machte mit - und macht es bis heute. Weil er seiner Tochter ein besseres Leben bieten möchte als er es in seiner Kindheit hatte. Um das zu schaffen, hat er bei einer Weiterbildung zum Lageristen den Führerschein gemacht und eine Ausbildung zum Pflegeassistenten begonnen. 

„Den halben Weg habe ich schon geschafft“, sagt Marcel. „Weil ich hier Leute im Rücken habe, auf die ich mich verlassen kann.“ Den Weg, den er noch gehen will, sieht er schon ganz klar vor sich: Er will die generalisierte Pflegeausbildung absolvieren, als Pflegefachkraft arbeiten und dann Pflegedienstleiter werden. Tobias Göhl begleitet ihn auf seinem Weg, solange beide das für richtig und wichtig halten. Er hilft ihm, seine Post zu bearbeiten, sich um Sorgerechtsfragen zu kümmern. Neben der Ausbildung hat Marcel mithilfe der Herberge zur Heimat bereits ein weiteres wichtiges Ziel erreicht: Er lebt inzwischen in einer eigenen Wohnung. 

Eine Wohnung zu finden, ist aktuell nicht leicht. Das gilt besonders, wenn man sich aus der Wohnungslosigkeit heraus bewirbt. Deshalb hat zunächst die Herberge zur Heimat die Wohnung für ihn gemietet. Als die Vermieter zwei Jahre lang sahen, dass Marcel ein angenehmer Mieter ist, der zuverlässig seiner Arbeit nachgeht, ging der Mietvertrag auf ihn über. 

Marcel sagt: „In der Herberge zur Heimat habe ich gelernt, die Dinge strukturierter anzugehen. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich hier immer ernst genommen werde.“