
Jede Wohnung kann ein Leben verändern
Die Wohnraumakquise der Diakonie in Göttingen hilft bei der Suche
Sie war 15 Jahre in der Straßen- und Drogenszene unterwegs, lebte in „Problemimmobilien“ mit Kakerlaken, Bettwanzen und Lärm. Ein Jahr lang war sie komplett wohnungslos. Eine Ausbildung hat sie nie abgeschlossen. Das Leben von Sara Müller (Name geändert) war nie ganz einfach. Dann aber kam die Wende: Sie begriff, dass Drogen keine Lösung sind, und ließ sich helfen. Ein Sozialarbeiter der Straßensozialarbeit des Diakonieverbandes in Göttingen wurde bei der Streetwork auf sie aufmerksam, unterstützte sie – und brachte sie zur Wohnraumakquise der Diakonie.
„Allein hätte ich bestimmt bis heute keine Wohnung“, sagt Sara Müller. Mit schlechter Schufa, Sozialhilfe und den problematischen Voradressen „hatte ich keine Chance“. Zwei Jahre lang hat sie sich immer wieder erfolglos Wohnungen angesehen. Mit stets sinkendem Selbstwertgefühl und entsprechendem Auftreten. Sie wusste ja schon, wie die Geschichte enden würde.
Das Team der Wohnraumakquise in Göttingen, Johanna Meyer, Sozialarbeiterin, und Ilona Puntschuh, Bauingenieurin, konnte aber die Vermieter überzeugen. „Wir stehen den Mietenden und den Vermietenden mit fachlicher Expertise zur Seite. Wenn es Probleme gibt, sind wir da“, sagt die Sozialarbeiterin. „Bisher hat es nur sehr wenige Probleme gegeben. Die Leute sind einfach froh, wenn sie endlich eine Wohnung haben.“
So war es auch bei Sara Müller. „Jetzt komme ich endlich gern nach Hause. Vorher hatte ich kein Leben, keine Hobbys, keine Interessen. Das ist jetzt alles anders geworden.“ Sie hat eine Wohnung – ohne zeitliche Befristung. Sogar einen festen Job hat sie inzwischen. Und neue Freund*innen. „Endlich muss ich mich nicht mehr schämen, wenn mich jemand fragt, wo ich wohne. Ich habe ein ruhiges Umfeld. Vorher habe ich mich gefühlt wie ein Mensch dritter Klasse. Jetzt fühle ich mich der ‚normalen‘ Gesellschaft wieder ein ganzes Stück zugehöriger.“
Die Wohnraumakquise unterstützt nicht nur Wohnungslose, sondern auch Menschen mit Suchterkrankungen, in finanziell schwieriger Situation oder diejenigen, die aus Psychiatrie oder Gefängnis kommen. Johanna Meyer und Ilona Puntschuh helfen bei der Vermittlung die Kontakte, die sie zu den Vermietenden aufgebaut haben. Und doch freut das Team der Wohnraumakquise sich über jedes Wohnangebot, mit dem Menschen auf die Wohnraumvermittlung zukommen. Denn: „Jede Wohnung kann ein Leben verändern.“ Bei Sara Müller hat es funktioniert.
Ansprechpartner*innen für Vermietende
Hannover:
Sabea Liedtke
Telefon: 0176 85979938
E-Mail: liedtke@swh-hannover.de
www.swh-hannover.de
Göttingen:
Ilona Puntschuh (Dipl. Bauingenieurin)
Johanna Meyer (Sozialarbeiterin/
Sozialpädagogin B. A.)
Wohnraumakquise.straso.goettingen@evlka.de
Telefon: 0551 5179824
straso.wir-e.de
Gifhorn:
Tarek Hüneke
Wohnraumakquise
Telefon: 05371 721293
E-Mail: tarek.hueneke@
dachstiftung-diakonie.de
diakonie-dwb.de
Twistringen im Landkreis Diepholz:
Wohnraumakquise
Telefon: 04243 9334-25
E-Mail: ASepehri@caritas-os.de,
STSchaedel@caritas-os.de
www.caritas-dh-ni.de
www.beratung-caritas.de
Hilfe ohne Vorurteile
Die Wohnungslosenhilfe ist ein wichtiger Teil der Diakonie. Wir sprachen mit Maik Gildner, dem Vorsitzenden des Niedersächsischen Evangelischen Fachverbands Wohnungs- und Existenzsicherung (EFWE), und Christoph Brauner aus dem Referat Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Niedersachsen, über Probleme und Lösungsansätze.
Eine einordnende Frage zum Einstieg: Was ist der Unterschied zwischen Wohnungs- und Obdachlosen?
Gildner: Wer bei Bekannten oder in Notunterkünften unterkommt, ist wohnungslos. Wer ohne jeglichen Unterschlupf unter einer Brücke schläft, ist obdachlos.
Die Gelingensgeschichte über die Wohnraumvermittlung in Göttingen zeigt, wie viel Gutes passieren kann, wenn Menschen erst mal eine Wohnung haben. Warum ist das so?
Gildner: Wir haben den Leitspruch: „Eine Wohnung ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist alles nichts.“ Eine Wohnung ist ein Menschenrecht. Sie ist die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben, um sich ausruhen und soziale Kontakte pflegen zu können. Wer auf einer Bank lebt, ist immer unter Beobachtung, kann sich hygienisch nicht verhalten wie in einer Wohnung.
Brauner: Ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung. Mit der neuen Wohnraumakquise versuchen wir, dieses Problem zu lösen. Deshalb ist es sehr schön, dass das Land Niedersachsen dieses Thema mit einem Modellprojekt aufgegriffen hat.
Was sind die Hintergründe von Wohnungslosigkeit?
Brauner: Oft ist es irgendein Ereignis im Leben, das den Menschen aus der Bahn wirft. Jede*r hatte vorher ein normales Leben, Schule, Beruf, Familie, soziale Beziehungen. Dann passierte irgendetwas. Der Tod eines Angehörigen nahm den Lebensinhalt. Oder im beruflichen Kontext ist etwas passiert. Arbeitsplatzverlust, unfaire Behandlung. Jedes schlimme Ereignis kann der Auslöser sein. Losgelöst von persönlichen oder finanziellen Möglichkeiten. Es geht uns aber nicht nur um Menschen, die schon wohnungslos sind. Es geht auch um die, die es noch nicht sind. Auch denen helfen wir. Es geht um die, denen die Selbsthilfekräfte fehlen.